Ich glaube, ich hadere noch immer ein wenig mit meinem Leben. Ich bekam 1999 meine klinische Diagnose MS. Die folgenden zwei Jahre ging es mir echt mies. Ich hatte alle paar Wochen einen Schub, der mit hochdosiertem Cortison behandelt wurde. Ich konnte immer schlechter gehen und hatte Schmerzen im ganzen Körper. In der Zeit verfluchte ich mein Leben! Ich war, aus heutiger Sicht, immens zornig. Ich war zornig, warum gerade ich krank werden musste. Ich war zornig, weil keiner da war um mir zu helfen. Ich war zornig, weil ich mich verlassen und nicht ernst genommen fühlte. Aber ich hatte zwei kleine Jungs, mit 2 und 4 Jahren, deren Leben noch komplett vor ihnen lag. Ich hab mich aufgerafft und weitergemacht. Ein gutes Beispiel wollte ich ihnen sein. Fußballspielen wollte ich mit ihnen und die Welt entdecken…
Meine Söhne gaben mir die Kraft noch einmal durchzustarten. Ich hab mein Leben komplett umgekrempelt. Die Ernährung wurde umgestellt auf vegetarisch, mehr Bewegung wurde eingebaut in den Tag. Putzen war nicht mehr so wichtig… Das wichtigste waren meine Jungs und ICH.
2001 hab ich geheiratet, nach einer superschwierigen Phase dieser Beziehung. Schon ganz bald nach der Hochzeit, hab ich gemerkt, dass das keine so ganz gute Entscheidung war. Obwohl… 2004 kam meine Tochter auf die Welt. Mein Mini-Me!!! 2006 war dann die Scheidung… Ich hab mich in die Arbeit gestürzt. 2008, an meinem 40. Geburtstag, begann ich eine neue Ausbildung. Schon 18 Monate später war ich selbstständig! Es folgten Jahre mit Arbeit, viel Arbeit und noch mehr Arbeit… und einer äußerst toxischen Beziehung… Erst 2014 hab ich es geschafft mich aus diesem Gefängnis zu befreien! Aber wahrscheinlich muss man durch tiefe Täler gehen um wieder in luftige Höhen aufsteigen zu können. 2015 hab ich meinen Lebensmenschen kennen und lieben gelernt.
Alles schien einfach nur perfekt zu laufen. Mein Geschäft florierte, so dass ich es sogar vergrößert habe. Meine Söhne gingen ihren Weg, mit guten Ausbildungen, meine Tochter war ein glückliches Mädel. Mein Freund unterstütze mich mehr als jeder andere Mensch… Er war einfach immer für mich da!!! Danke an dieser Stelle!!!
Das Erwachen kam 2017. Am Valentinstag eröffnete mir mein Neurologe, dass sich zwar meine MS gerade ruhig verhält, aber dass mein Tumor groß geworden sei… Bloß von dem Kerl wusste ich noch gar nichts!!! Er war nicht lebensbedrohlich, weshalb er erst im Frühsommer operiert wurde. Alles schien gut. Nach fünf Tagen durfte ich nach Hause. Ich war dann vier Wochen bei meinen Eltern, da ich nicht allein leben wollte und konnte. Ich durfte nichts heben, nicht mehr als 20 Minuten spazieren gehen und das auch nicht alleine, mich nicht sorgen… Leichter gesagt, als getan… Mein Geschäft wartete auf mich, meine Wohnung in Graz wartete auf mich, mein Leben wartete… Nach 4 Wochen Hotel Mama wollte ich wieder in meine Wohnung, drei Tage später war ich auf der Reha-Station im LSF. Ich konnte noch nicht allein leben. Weitere drei Wochen später der nächste Versuch… Meine Angestellte, die inzwischen mein Geschäft betreut hat, meinte, es ist ihr alles zuviel und sie kündigt. Also ein Sprung ins kalte Wasser. Ich ging wieder arbeiten. Ein paar Wochen danach war ich bei meinem Hausarzt und erzählte ihm, dass ich meine Kundschaften nicht mehr erkenne, das ich den Weg von meiner Firma nach Hause mit dem Navi fahren muss, weil ich den Weg nicht weiß. Er schrieb mich krank, füllte den Pensionsantrag aus und meinte, es sei besser, wenn ich nach Hause gehe!
In diesem Moment war ich so froh darüber. Ich war so überfordert mit arbeiten, Kind großziehen, Haushalt… Über Weihnachten und Neujahr war ich dann das erste Mal auf Reha in Bad Radkersburg. Es hat mir sehr gut getan. Aber der ganze Streß, die Sorgen um meine Existenzsicherung, hat die MS angeheizt. Ein Schub folgte dem Anderen, und es waren immer die Augen betroffen. Etwas ungünstig, wenn man als Fußpflegerin arbeitet! Ich wollte es einfach nicht wahrhaben, dass ich krankheitsbedingt in Pension gehen muss. Aber es war so! Ich ging in Pension, am Monatsersten nach meinem 50. Geburtstag.
Das Glück gefunden!
Das brachte viele Veränderungen mit sich. Mit 50 in Pension gehen hieß für mich, einen großen finanziellen Einschnitt. Ich hielt mich immer für unzerstörbar, trotz MS, und dachte nicht an die Pension, die irgendwann kommen würde. Ich hab immer nur wenig in die Pensionsvorsorge eingezahlt. Jetzt rächte sich das. Ich musste meine Wohnung aufgeben in Graz, weil ich sie mir nicht mehr leisten konnte. Im Haus meiner Eltern ist Gott sei Dank viel Platz. Also wohne ich jetzt wieder in Frohnleiten. Ich bin sehr glücklich hier. Meine Tochter und ich haben eine große, helle Wohnung mit Garten. Meine Eltern wohnen nur einen Stock höher, und mein jüngerer Sohn wohnt zwei Stock höher. Es ist sehr harmonisch hier! Ich bin sehr dankbar dafür!!!
Schwein muss man haben!
Manchmal hab ich noch immer ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht mehr arbeite, obwohl ich weiß, dass ich das ja gar nicht mehr könnte. Manchmal fühle ich mich nutzlos. Manchmal macht mich das Leben traurig. Aber dann schau ich meiner Tochter beim Erwachsen werden zu und freu mich riesig. Ich freu mich darüber, dass meine beiden Söhne tolle Menschen geworden sind. Ich freu mich, dass ich einen liebevollen Partner habe, der mit mir durch die Welt reisen mag und mich aushält. Das Leben ist ja doch großartig!!!
Dieses Tagebuch schreib ich für mich. Ich muss mir manchmal beweisen, dass ich noch was leisten kann. Ich möchte anderen zeigen, dass nicht alle Tage gut sind, dass es aber in jedem Tag gute Momente gibt. Ich möchte damit für mich und für andere den Blick für das Schöne schärfen. Ich möchte den Mut stärken, weiter zu machen!!!
Aufgegeben wird nur ein Brief!!!